Vielleicht haben Sie auch schon derart außergewöhnliches gehört, dass Sie danach kaum atmen konnten ... Sie wollen einfach nur in diesem Bann verweilen, in den der ganze Konzertsaal gezogen wurde ... man möchte sich nicht bewegen oder in die Aura eindringen, die von Musikern und Publikum gleichermaßen gefühlt wird! Genau das spürte ich, als ich diese CD hörte. Zuerst kann man auf dieser CD das „Konzert“ für Bajan und Symphonieorchester (2009) von Alexander Cholminov (* 1925) hören. Es ist in einem Satz mit einer Dauer von 21:21 Minuten geschrieben und verlangt die Aufmerksamkeit des Zuhörers vom ersten bis zum letzten Moment. Obwohl die Orchestrierung sehr umfangreich ist, erlaubt es Cholminov durch seinen Kompositionsstil dem Solisten, über dem Orchester gehört zu werden, ohne dabei das Instrument zu überfordern. Wie man es von ihm gewohnt ist, erledigt Friedrich Lips seine Aufgabe mit großer Bravour, ebenso wie das Symphonie-Orchester der russischen Gnessin-Musikakademie. In einem älteren Stil als jenes von Podgaits geschrieben, ist es nichtsdestotrotz eine wertvolle Ergänzung unseres ständig wachsenden ernsten Repertoires für das Instrument. Es ist angenehm zu hören und sollte, wenn auch spät in Cholminov‘s aktivem Leben geschrieben, nicht als altmodisch oder gar als nicht mehr relevant angesehen werden. Friedrich Lips hat erläutert, warum und wie dieses Stück zustande kam, und diese interessanten und informativen Kommentare finden sich im booklet der CD und am Ende dieser Rezension. Das zweite Stück auf der CD ist Efrem Podgaits‘ (* 1949) „Lips Concerto“ für Bajan und Symphonieorchester (2001). Das einsätzige Konzert dauert 31:16 Minuten und der Zuhörer sollte nicht eine einzige Sekunde dieser wirklich großartigen Komposition versäumen, das vom Solisten Friedrich Lips und dem Symphonie-Orchester der russischen Gnessin-Musikakademie unter der Leitung des Dirigenten Timur Munbajew in gleich souveräner Weise interpretiert wird. Man könnte sich keine raffiniertere Aufführung vorstellen! Pure Perfektion in jedem Detail! Natürlich erwarten wir diese Meisterschaft von Friedrich Lips, und er scheint sich jedes Mal von neuem selbst zu übertreffen. Auch der Dirigent muss für seine sorgfältige Kontrolle der enormen Kräfte gelobt werden, nach der die Orchestrierung des Komponisten verlangt, was ihm ohne einen Anflug von Schwäche hervorragend gelingt. Efrem Podgaits hat für alle Orchestermitglieder sehr anspruchsvolle Stimmen geschrieben und gibt ihnen auch die Freiheit, ihr Können prächtig in Szene zu setzen! Oh wie gut sie spielen! Alle Orchesterinstrumente sind bestens gestimmt, es gibt keine ungehörigen Attacken der Blechbläser, keine unebenen Läufe der Holzbläser, und keine Hässlichkeit des vielbeschäftigten Schlagzeugs, das sind sehr gute Musiker, und sie helfen, aus dieser Interpretation dieses Concerto das Meisterwerk zu machen, das es ist. Ob fortissimo oder pianissimo, dieses Orchester macht Musik von höchster Qualität, und all das passiert, während dem Solisten die Freiheit bleibt, so zu spielen, wie er will; es ist der Inbegriff guter Zusammenarbeit zwischen Orchester und Solist! Es gibt keine Langeweile! Man hört süße, schöne Melodien, ungewöhnlich neben große, spannende, pulsierende Rhythmen gestellt. Kleine Motive durchwandern viele unterschiedliche Teile des Orchesters, und vielen verschiedenen Instrumenten wird die Gelegenheit zu reizvollen Fragmenten gegeben, die für das Ganze so wichtig sind; sie werden die volle Aufmerksamkeit des Zuhörers auf sich ziehen. Podgaits hat eine für alle brillante Komposition geschaffen. Sie werden jeden Moment genießen! Friedrich Lips spielt wieder einmal mit äußerster Finesse und Selbstverständlichkeit, sowie Extravaganz und Leidenschaft. Was auch immer die Partitur des Komponisten verlangt, Lips erfüllt es in überreichem Maße. Seine Kunst in diesem Konzert ist einmalig. Er war immer eine Autorität in seiner Balgtechnik, nicht für unterhaltsame Effekthascherei, sondern um die Anforderungen der Musik zu erfüllen; dieses Stück ist eine weitere Demonstration derartiger Fähigkeiten. Die gleiche Empfindsamkeit zeigt sich in den (Ton-) Glissandi, und selbst in den kleinen Geräuschen, die, wie ich annehme, vom Kratzen des Balgs kommen. Jede Note, die er in beiden Händen spielt, ist in schöner Klarheit zu hören. Durch die Interpretation dieses musikalischen Meisterwerks, das ihm vom Komponisten Efrem Podgaits gewidmet wurde, erweist sich Friedrich Lips als Elitekünstler in den besten Jahren seines Lebens. Wir müssen dankbar sein. Es ist ein Genuss für uns, solche Kunst zu hören. Lips hat zu dieser CD extrem interessante und informative Kommentare geliefert, die weiter unten wieder gegeben werden. Diese CD ist wieder eine jener herausragenden Aufnahmen, die wir in unseren Bibliotheken haben sollten. Es ist in der Tat eine von historischer Bedeutung, auch weil sie die Werke eines Komponisten früherer Jahre sowie eines anderen jüngeren, produktiven und recht erfolgreichen enthält, die beide von Friedrich Lips dafür interessiert wurden, für Bajan zu schreiben. Dadurch erlangt unser Repertoire immer mehr Glaubwürdigkeit und Akzeptanz in der großen Musikwelt, worauf wir fortwährend bedacht sein müssen. Wir dürfen uns nicht auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen. Es ist die Arbeit von Menschen wie Lips, Podgaits und Cholminov, die nie aufhören darf. Es ist unsere Aufgabe, diese Arbeit durch den Kauf und die Verbreitung ihrer Aufnahmen zu fördern, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Akkordeon- und Bajanwelt. Rezension von Joan Cochran Sommers - November 2013 Die deutsche Übersetzung dieses Artikels stammt von Dr. Herbert Scheibenreif. |